Bei Anja Berans sonntäglicher Morgenarbeit wird vermittelt, dass die klassische Reitkunst die Basis aller anderen Reitdisziplinen ist. Alex, Filialleiterin im Pferdesporthaus Loesdau Villingen, war dabei und berichtet von einem außergewöhnlichen Sonntag!
Auf zur sonntäglichen Morgenarbeit von Anja Beran
Schön ist es heute und kalt. Um 7 Uhr breche ich auf, um die „sonntägliche Morgenarbeit“ bei Anja Beran zu besuchen. Auf der Fahrt ins Allgäu liegt der Bodensee noch still neben mir und die Alpen schauen im Morgennebel aus den Wolken. Nun verlasse ich Baden-Württemberg und erreiche den Freistaat Bayern. Typisch große Bauernhäuser säumen die Straße und es wird ländlich. In dem kleinen Ort Krottenhill endet meine Fahrt. Auf fast 900 Metern Höhe ist es noch frischer als zu Hause als ich aus dem Auto steige. Auf dem Weg zum Hofgut sichte ich die ersten Pferde. Haflinger und Ponys. Ob die wohl auch piaffieren können? Durch ein Tor erreiche ich die Stallungen. Ein kleiner Blick genügt. Ja, da bin ich richtig. Edle Pferde schauen mich an und genießen die Sonne auf ihrem Paddock. Ich schlendere durch die Gartenanlage und begegne neben hübschen Blumen und gemütlichen Parkbänken einer Gruppe Kaninchen. Schön haben es die kleinen Mümmelmänner hier, viel Platz zum Toben. Nach einer Tasse Kaffee und einem leckeren Käsekuchen nehme ich in der Reithalle Platz.
Die ersten Pferde werden schon unter dem Sattel bewegt. Leicht und locker bewegen sie sich. Die Hilfen der Reiter sind fast unsichtbar. Anja Beran sitzt im Sattel eines hoch motivierten spanischen Schimmelhengstes. Wie bekommt man bloß diese Energie kontrolliert?
Anja Beran reitet den Hengst in Piaffe und Passage im Wechsel – dann halten, Zügel lang und loben. Abschnauben. Warum sollte man sich aufregen? Zügel wieder aufnehmen, wieder Piaffe – Passage. Doch nun kommt seine Lieblingsübung: In einem eindrucksvollen spanischen Schritt entlädt sich die freudige Energie zu einem wahren Feuerwerk, und was kommt dann? Halten, Zügel lang und… das Beste vom Tag, ein Leckerli. Man sieht ihm den Spaß an der Arbeit an.
Das zweite Pferd: ein ehemaliger Stierkämpfer
Das zweite Pferd: ein ehemaliger Stierkämpfer. Er galt als sehr schwierig, was man heute kaum noch glauben kann. Vera Munderloh präsentiert den Hengst von seiner schönsten Seite. Einerwechsel im Galopp, auf dem Zirkel. Kein Problem. Perfekt in Takt und Gleichgewicht, fühlt das Pferd sich in seinem Element. Anna Jantscher zeigt auf einem Lusitanohengst, wie geschmeidig sich ein gut gymnastiziertes Pferd unter dem Sattel bewegen kann. Sämtliche Seitengänge in allen Grundgangarten werden gezeigt. Ein schönes Bild, alle drei Pferde zusammen in der Halle.
Vertrauen zwischen Pferd und Reiter
Nach der Begrüßung durch Anja Beran wird das erste Pferd vorgestellt: ein dreijähriger Spanier. Die Grundausbildung erfolgt, je nach Pferd, innerhalb der ersten drei Monate. Hierbei lernt das Pferd in allen drei Grundgangarten erst an der Longe, dann mit Reiter, sich auszubalancieren und die Hilfen zu verstehen. Der kleine Wallach zeigt sich trotz Publikum, immerhin fast 150 Personen, recht entspannt. An der Longe in schönem Vorwärtsdrang, der auf keinen Fall unterbunden werden sollte. Unter dem Reiter an der Longe sieht man schön das Vertrauen, welches sich zwischen der Reiterin und dem Pferd aufgebaut hat. Vertrauensvoll geht er in allen Grundgangarten fleißig und schon recht gut ausbalanciert. Klare Sprache und immer die gleichen Worte, haben ihn verstehen lassen, was man von ihm möchte. Dadurch hat er auch die Chance zu lernen und zu verstehen. Hierbei gilt der Grundsatz „Hand ohne Schenkel, Schenkel ohne Hand“. Durch diese Vertrauensbildung ist die Grundlage für eine stressfreie Ausbildung gegeben. Für die Ausbildung sollte sich Zeit genommen und das junge Pferd nie überfordert werden.
Gymnastizierung ist keine Show bei Anja Beran
Als nächstes betritt ein fünfjähriger Spanier die Halle. Er dient als Lehrpferd für die Eleven und gehört der Anja Beran Stiftung. Die Ausbildung des Pferdes dient immer zur Gymnastizierung und sollte keine Show darstellen. Anhand dieses Pferdes sieht man schön wie ein schiefes Pferd, „links hohl“, korrekt gymnastiziert werden sollte. Durch bewusste Übungsreihen, die auf die Bewegung des Pferdes abgestimmt werden, wird die hohle Seite gedehnt und die schwächere Seite gekräftigt. Für ein „schiefes Pferd“ wäre es fatal dieses nicht zu beachten und sinnlos ohne Plan zu reiten. Alle Übungen werden langsam und gezielt eingesetzt. Schenkelweichen im Leichttraben gehört genauso dazu wie Zirkel verkleinern und vergrößern. Auch wird dem Pferd bewusst die Hallenwand als Stütze entzogen, um sein Gleichgewicht selber finden zu können. Wenn man ohne Zügel auf dem Zirkel Trab-Galopp-Übergänge im ruhigen Tempo hinbekommt, ist das schon ein tolles Ergebnis. Durch die Kommentare von Anja Beran kann man gezielt sein Auge schulen, um sofort eine Analyse zu erstellen. Nach der Vorstellung können Fragen gestellt werden, was sehr gut zum Verständnis beiträgt.
Schwierigere Lektionen mit Leichtigkeit ausgeführt
Majestoso Stornella betritt die Halle, ein sechsjähriger Lippizaner. Aufgewachsen in einer Herde in Piber musste er lernen, ohne seine Herde klar zu kommen. Dies machte ihn erst sehr unsicher. Seine Tendenz im Pass zu gehen erforderte eine gute und genaue Analyse. Durch viele Seitengänge lockerte man seinen Rücken. Gekräftigt wurde dieser mit viel Galopparbeit, was in der Ausbildung bei Anja Beran deshalb gerne früh begonnen wird. Durch die vielen Kombiübungen begibt sich das Pferd oft wie durch Zufall in schwierigere Lektionen, die dann ganz einfach und mit Leichtigkeit ausgeführt werden. Dieses ist nicht immer selbstverständlich. Eine Pirouette oder Piaffe sollte dem Pferd Freude bereiten und nicht mit Zwang ausgeführt werden. Zum Schluss darf Majestoso auf einer Volte passagieren. Drei bis vier gute Tritte reichen – Lob, Zügel lang und als Überraschung zeigt er uns ein schönes Kompliment. Majestoso verlässt stolz die Halle.
„Dressur ist für die Pferde da, nicht die Pferde für die Dressur“
Hier wird wieder deutlich: „Dressur ist für die Pferde da, nicht die Pferde für die Dressur“. Korrekt ausgeführt können auch körperlich benachteiligte Pferde ohne Schäden hohe Lektionen ausführen. Das Wissen dieser Kunst wurde von Meister zu Meister weitergegeben und droht heute auszusterben. Die Anja Beran Stiftung versucht diesem entgegenzuwirken, indem die Schüler von Anja Beran eine sechsjährige Ausbildung durchlaufen. Hierbei werden neben Sitzschulungen und Analyse des Pferdes täglich 10 bis 12 Pferde geritten, um überhaupt die verschiedenen Typen und deren Problematiken kennen zu lernen und richtig darauf reagieren zu können. Die Stiftung besitzt eigene Lehrpferde, da zwei Drittel des Lehrmaterials vom Pferd kommt.
Die Reitkunst ist die schwierigste Kunst, da sie Körper, Geist und Charakter formt. Anja Beran unterrichtet international, so auch in Belgien. Eines dieser Pferde, ein holländischer Warmblüter, zeigt eindrucksvoll, wie leicht ein großer Warmblüter ohne Sporen und Kandare auf die feinsten Hilfen reagiert. Piaffe ohne Stechen und Ziehen, schön anzusehen, locker und leicht ausgeführt. „Die Piaffe ist wie ein Feuer, das man entfachen, aber auch wieder löschen können muss“, sagt Anja Beran. Also: Piaffe – Zügel lang, entspannen.
Pferd und Reiter haben Spaß
Nun kommt ein kleines Feuerwerk in die Halle, ein 21-jähriger Lusitanohengst. Renvers, Travers, Pirouette, Einerwechsel – so leichtfüßig und fix, immer im Gleichgewicht. Passage, Traversale zur Abwechslung – sonst wird es ihm langweilig. Ins Schwitzen kommt er nicht, gelernt ist gelernt. Muss er noch lernen? Nein – beide, Pferd und Reiter, haben Spaß, das ist die Hauptsache.
Spaß hatten die vorherigen Besitzer mit dem nächsten Pferd wohl nicht. Mit angeblich zu wenig Potenzial wurde das Pferd Anja Beran überlassen. Hier wurde ein sehr weicher Rücken festgestellt, also über die Analyse zur Gymnastizierung. Und was sieht man jetzt? Ein Pferd, das seine Stärke gefunden hat. Im Vordergrund steht ein leistungsbereites, gesundes Pferd, das Spaß an der Arbeit hat. Er muss keine 10 Punkte Piaffe zeigen, sondern darf sich immer leichtfüßig im Rahmen seiner körperlichen Möglichkeiten bewegen.
Vollgepackt mit Bildern schöner Pferde, die in Harmonie die hohe Kunst der Dressur zeigen, verlasse ich die Reithalle und stärke mich mit einem leckeren vegetarischen Gericht. Und schon geht es weiter.
Die hohe Kunst des langen Zügels
Vera Munderloh referiert über die hohe Kunst des langen Zügels. Die beste Art einen Schlaufzügel zu benutzen sei die, diesen als Langzügel zu nutzen, sagt Vera Munderloh.
Gesagt getan. Anna Jantscher betritt die Halle und zeigt die ersten Übungen am langen Zügel. Zirkel, Volte, abwenden, Schulter herein. Es sieht einfach aus, aber macht das mal nach… Später zeigt Vera Munderloh gekonnt den Hengst Super am Langzügel. Traversale, Galopp-Pirouette, Tempiwechsel… Schnauf…
Anstrengend, aber sehr schön
Man merkt, das ist anstrengend, aber sehr schön anzusehen, wie sich ein Pferd ohne Reiter versammelt, in der Piaffe bewegt – und das nur mit einem kleinen Menschen hinten dran. Hier wird wieder einmal demonstriert, wie fein ein Pferd reagiert und wie harmonisch das Ergebnis sein kann. So, nun drehe ich noch eine Runde auf der schönen Anlage. Ich freue mich auf meine kleine Ponystute, mit der ich auch viel Handarbeit mache. Durch das Buch von Anja Beran „Klassische Reitkunst“ konnten wir uns auch unter dem Sattel entwickeln und viele Probleme erkennen und beheben. Durch das korrekte, pferdefreundliche Reiten unter dem Aspekt ein gesundes und motiviertes Pferd zu fördern, ist es Anja Beran gelungen auch nicht so hoch talentierten Reitern und Pferden durch konsequente, liebevolle, ruhige und durchdachte fachmännische Art die klassische Reitkunst weiter zu geben.
Ziehen, Treten und Stechen des Reiters – hier niemals
Fazit: Wer sein Pferd ohne Zwang und ohne Stress ausbilden oder weiterbilden möchte, findet hier die besten Anregungen dazu. Besonders die ruhige Vorgehensweise während der Arbeit hat mich gefreut. Alle Piaffen sind nicht „Angst auf der Stelle“, sondern ein wirklich ausbalanciertes ausgeglichenes Piaffieren. Die Pferde werden nie überfordert und können auch selber ausprobieren. Ziehen, Treten und Stechen des Reiters wird man hier niemals finden. Der Ausbildungsstand des Pferdes wird immer berücksichtigt und stückchenweise gefördert. Vielen Dank an alle, die diese Art der Reiterei fördern und unterstützen.
Schließen möchte ich mit einem leider nicht mehr selbstverständlichen Satz von Anja Beran:
„Die klassische Reitkunst ist die Basis aller anderen Reitdisziplinen. Sie dient vor allem dazu das Pferd gesund zu erhalten und zu einer schönen, ausdrucksvollen Persönlichkeit werden zu lassen.“
Für mich war dies wieder ein ganz besonderer Urlaubstag mit vielen Anregungen und lehrreichen Einblicken, welche ich als Pferdechiropraktiker-Physiotherapeutin in die Therapiepläne mit einbeziehen werde. Ich wünsche allen, die mit Pferden arbeiten, diese pferdeschonende Arbeitsweise zu verstehen und umsetzen zu lernen.
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